Armutsforschung im Dienst der Armutsbekämpfung
Diese Ausgabe nimmt den Faden der im Brief No. 104 vorgestellten Forschungsarbeit ‘Die verborgenen Dimensionen der Armut’ wieder auf. Inzwischen wurden mehrere Videokonferenzen organisiert, in denen Teilnehmer:innen von verschiedenen Kontinenten über die folgende Frage austauschten: Wie inspiriert uns diese Forschungsarbeit im Kampf gegen Armut? Auszüge aus ihren Überlegungen finden sich auf den ersten drei Seiten. Seite 4 gibt Echos vom Welttag zur Überwindung der Armut 2021.
Im Leitartikel schreibt Xavier Godinot: Als Leiter des Koordinationsteams zur internationalen partizipativen Forschungsarbeit über ‘Die verborgenen Dimensionen der Armut’ war ich Zeuge der enormen Anstrengungen, welche die Teilnehmer auf sich genommen haben, um unter oft sehr schwierigen Umständen eine so großartige Arbeit zu leisten.
Nach drei Jahren konzentrierter Arbeit in fünf Sprachen sind alle Teilnehmer, – Wissenschafter, Fachleute und Menschen, die Armut aus eigener Erfahrung kennen -, zu Recht stolz auf das Ergebnis. Gleichzeitig hoffen sie, dass ihre Arbeit dem Kampf gegen extreme Armut dienlich sein wird.
Der Dialog mit vierzig Leserinnen und Lesern unseres Rundbriefes macht uns diesbezüglich Mut. Im Laufe dieses Austausches hat sich gezeigt, dass die neun Dimensionen der Armut und die fünf Modifikatoren, welche im Laufe des Projektes aufgedeckt wurden, für den tagtäglichen Kampf gegen Armut durchaus nützlich sind. Die Kenntnis dieser verschiedenen Aspekte von Armut ermöglicht es verschiedenen Menschen, die am Kampf gegen Armut teilhaben, die Rahmenbedingungen der eigenen Arbeit besser zu verstehen. So schreibt uns ein Leser etwa, dass die Forschungsergebnisse neue Perspektiven auftun. Der Forschungsbericht zeige, dass Armut nicht die Schuld von Menschen in Armut ist, sondern dass die gesamte Gesellschaft eine Verantwortung für ihr Fortbestehen trägt. „Die Schande hat die Seite gewechselt“, meint ein anderer Leser. Eine weitere Leserin sagt es so: „Menschen, die zu Tausenden auf einer Müllhalde vom Abfall anderer leben müssen, sind betäubt vor Schmerz.“
Unsere partizipative Forschungsmethode verlangt von jedem von uns, sein eigenes Verhalten gegenüber von Menschen, die in Armut leben, zu überdenken.
Wie werden sie wahrhaftig und ohne Diskriminierung in die Projektplanung miteinbezogen? Welche Zeit räumen wir dafür ein, dass ein Klima des Vertrauens entsteht? Bevormunden wir sie? Steht genügend Zeit zur Verfügung, damit sie zunächst unter sich überlegen und ihre Anliegen formulieren können, bevor sie sich mit den andern Peer-Gruppen austauschen? „Mit diesem Bericht, können wir uns klar positionieren. Er sollte uns als Leitfaden dienen“, schreibt eine Fachkraft.
„Wer die Ärmsten der Armen mit Demut auf ihrem Weg begleitet, der wird auf viele schmerzhafte Erfahrungen stoßen und die Überraschung wird alsbald zur Bewunderung“ sagte Joseph Wresinski, der Gründer von ATD Vierte Welt. Diese internationale partizipative Forschungsarbeit ist ein beeindruckendes Beispiel dafür.
Bei der Eröffnung der 26. Klimakonferenz in Glasgow im letzten November rief eine junge Umweltaktivistin aus Kenia: „Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, wie drei Kinder an einem ausgetrockneten Flussbett standen und weinten. Auf der Suche nach Wasser waren sie mit ihrer Mutter zwanzig Kilometer zu Fuß gelaufen.“ Lassen Sie uns diese Kinder und ihre Eltern weiterhin auf ihrem Weg begleiten, ihr Leid mittragen und sie in ihrem Widerstand bestärken. Nur so können wir gemeinsam herbeiführen, dass alle Menschen und unser Planet respektiert werden und dass die Armut beendet wird.