Joseph Wresinski

Gründer der Bewegung ATD Vierte Welt

Seine Begegnung mit den Familien des Notunterkunftlagers in Noisy-le-Grand wird für Joseph Wresinski zu einer Offenbarung:

„Die Familien, die ich hier antraf, erinnerten mich an das Elend meiner Mutter, die Kinder, die mich vom ersten Augenblick an umdrängten, das waren meine Brüder, das war meine Schwester, das war ich selbst, vierzig Jahre zuvor in der Rue Saint-Jacques in Angers.“ 

Joseph Wresinski kommt am 12. Februar 1917 in Angers (Frankreich) zur Welt. Er verlebt seine Kindheit in bitterer Armut, leidet an den Demütigungen, die seiner Familie widerfahren. Nach einer Konditorlehre kehrt er auf die Schulbank zurück, um Priester zu werden (daher die Anrede „Père Joseph“). Sein Bischof schlägt ihm 1956 vor, die Arbeit in dem von Abbé Pierre gegründeten Notunterkunftlager aufzunehmen. Über 250 Familien leben dort in einem Dauerprovisorium abseits der modernen Gesellschaft. Er zieht in eine Baracke ein, um mit ihnen zu leben. 

„Der Gedanke ergriff mich, dass diese Menschen niemals aus ihrem Elend herauskommen würden, solange sie nicht in ihrer Gesamtheit, als Volk, empfangen werden, wo die andern Menschen diskutieren und sich mühen. Ich habe mir fest vorgenommen, dass ich, wenn ich hier bliebe, dafür sorgen würde, dass diese Familien die Stufen des Vatikan, des Elysée, der UNO emporsteigen können.“

 Den Familien im Lager schlägt er vor, einen Kindergarten und eine Bibliothek zu gründen. „Diese Menschen brauchten nicht so sehr Nahrung und Kleider, sondern Würde. Sie wollten nicht länger von der Willkür anderer Leute abhängig sein.“ Eine Kapelle, eine Werkstätte, ein Kulturzentrum, eine Wäscherei und ein Schönheitssalon werden nach und nach eingerichtet. 

Gemeinsam mit diesen Familien gründet Père Joseph einen Verein, aus dem später die Bewegung ATD Vierte Welt entsteht. Mit der Zeit engagieren sich Frauen und Männer unterschiedlichster Herkunft mit ihm. Einige entschließen sich, sich langfristig an der Seite der Ärmsten zu engagieren. So entsteht das Volontariat von ATD Vierte Welt.  

1979 wird Joseph Wresinski Mitglied des französischen Wirtschafts- und Sozialrats. In dessen Namen legt er 1987 den wegweisenden Bericht „Große Armut und wirtschaftliche und soziale Unsicherheit“ vor. Der Rat stellt sich ohne Gegenstimme hinter die von Père Joseph vorgeschlagene Strategie für einen umfassenden Kampf gegen die Armut. Er anerkennt damit offiziell, dass anhaltende Armut eine Verletzung der Menschenrechte darstellt und nur in Partnerschaft mit den Ärmsten überwunden werden kann. 

Am 17. Oktober 1987 versammeln sich 100.000 Menschen aus aller Welt und aus allen sozialen Schichten am Trocadéro in Paris, um diesem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Dort, wo 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet wurde, ist in eine Steinplatte eingemeißelt, der Appell von Joseph Wresinski zu lesen: „Wo immer Menschen dazu verurteilt sind, im Elend zu leben, werden die Menschenrechte verletzt. Sich mit vereinten Kräften für ihre Achtung einzusetzen, ist heilige Pflicht.“

Dies ist die Geburtsstunde des Welttags zur Überwindung der Armut, der 1992 von der UNO anerkannt wird. Am 14. Februar 1988 stirbt Joseph Wresinski. Er wird in Méry-sur-Oise (Frankreich) im Zentrum der Bewegung ATD Vierte Welt beigesetzt. Sein Nachlass wird im Internationalen Zentrum Joseph Wresinski in Baillet-en-France (Frankreich) aufbewahrt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Sein Name bleibt mit der Befreiung der Armen verbunden, die ihn als einen der Ihren, als Zeugen und Wortführer, anerkennen.

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