Welttag zur Überwindung der Armut und Ausgrenzung
Auf einer Reise nach Israel und Palästina im April 1982 schreibt Joseph Wresinski in einem Brief an die Mitarbeiter der Bewegung ATD Vierte Welt :
„Hier in Palästina erlebe ich ständig diese Realität des Vergessens. Wir sagen, das Leben und die Gegenwart der Armen hinterlassen keine Spuren. Welche Spuren, welche Marksteine haben sie in der Courneuve, in den Francs-Moisins, in der Cerisaie hinterlassen? Als ich neulich dort vorbeikam, konnte ich nicht einmal den genauen Standort erkennen. Und doch, wie viele Tränen haben diesen Boden getränkt, wie viel Leid haben Hunderte von Familien an diesen Orten erduldet, wie viele Schreie sind zum Himmel gedrungen! Kein Denkmal, keine Stele, keine Gedenktafel wurde gesetzt. Nur im Fleisch der Menschen sind davon Narben zurückgeblieben, nur die herangewachsenen Kinder werden die Erinnerung daran im Gedächtnis behalten, bis sie verblasst.“*)
*) Den gesamten Text können Sie hier lesen.
Fünf Jahre später, am 17. Oktober 1987, wurde auf dem Trocaderoplatz in Paris eine Gedenktafel eingeweiht, auf der zu lesen steht:
17. Oktober 1987
Verfechter der Menschenrechte aus aller Welt haben sich auf diesem Platz versammelt. Sie haben den Opfern von Hunger, Unwissenheit und Gewalt Ehre erwiesen. Sie haben ihrer Überzeugung Ausdruck gegeben, dass extreme Armut nicht unabänderlich ist. Sie haben ihre Solidarität mit all jenen Menschen bekundet, die überall auf der Welt für die Überwindung der Armut kämpfen.
Wo immer Menschen dazu verurteilt sind, im Elend zu leben, werden die Menschenrechte verletzt.
Sich mit vereinten Kräften für ihre Achtung einzusetzen, ist heilige Pflicht.
Père Joseph Wresinski
Diese Botschaft bekräftigt das Anliegen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die 1948 an diesem Ort unterzeichnet worden waren, sich für eine Welt frei „von Furcht und Not“ einzusetzen.
100.000 Menschen folgten dem Aufruf von Père Joseph Wresinski und versammelten sich an diesem Tag und brachten damit ihr Nein zum Elend und ihren Willen, sich für die Achtung der Menschenrechte einzusetzen, zum Ausdruck.
Die Menschen, die sich damals versammelten, kamen aus aller Welt, aus allen Bevölkerungsschichten und allen religiösen und weltanschaulichen Richtungen. Manche vertraten internationale, nationale oder lokale Behörden. Andere waren selbst mit mit ihrer Familie von Armut betroffen und mussten ihr Tag für Tag Widerstand leisten.
Seither nehmen auf allen Kontinenten Menschen, die in extremer Armut leben, zusammen mit anderen, die sich für die Beseitigung der Armut einsetzen, den 17. Oktober zum Anlass, ihr Engagement öffentlich bekannt zu machen und zu erneuern.
So entstand der Welttag zur Überwindung von Armut und Ausgrenzung. (Siehe dazu das Video „Ich lege Zeugnis ab“)
Am 17. Oktober 1992 lancierte der damalige UNO-Generalsekretär Javier Perez de Cuellar einen Aufruf zur Anerkennung dieses Tages. Am 22. Dezember 1992 wurde der 17. Oktober von der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum „Internationalen Tag für die Beseitigung der Armut“ erklärt.
Seit 1987 wird am 17. Oktober der Welttag zur Überwindung der Armut gefeiert und findet Jahr für Jahr größere Bedeutung. ATD Vierte Welt verbindet mit diesem Tag folgende Anliegen:
- den notleidenden und ausgegrenzten Menschen Gehör verschaffen und mit ihnen ins Gespräch kommen
Dieser Tag ist im besonderen dafür gedacht, jenen zuzuhören, die für gewöhnlich nur über ihre Probleme wahrgenommen und häufig dafür auch noch verantwortlich gemacht werden. Der Welttag zur Überwindung der Armut gibt ihnen eine Stimme, um die schwierigen Bedingungen, in denen sie leben, ihrem Ringen nach Würde im Alltag, ihren Hoffnungen und Zielen Ausdruck zu geben.
- den Menschen, die ein sehr hartes Leben haben, Ehre erweisen und ihren Widerstand gegen Not und Ausgrenzung würdigen
Dem grenzenlosen Leid von Menschen auf der ganzen Welt steht jeder Einzelne ohnmächtig gegenüber. Der 17. Oktober bietet Gelegenheit, an die Opfer extremer Armut zu erinnern, ihr Leben zum Anlass zu nehmen, sich für eine gerechtere Welt einzusetzen.
- jedem Einzelnen die Möglichkeit bieten, sich mit den Ärmsten dafür einzusetzen, dass die Rechte aller wirklich für alle gelten
Dieser Tag soll helfen zu verstehen, wie jeder Einzelne, an seinem Platz, sich engagieren kann.
- die Gesellschaft und die politisch Verantwortlichen mobilisieren Engagement öffentlich bekannt zu machen und zu erneuern.
(Mehr darüber in einem Auszug aus der Charta des 17. Oktobers)
Der 17. Oktober ist ein fester Anhaltspunkt für alle, die sich gegen Armut und Ausgrenzung einsetzen, mit einer Botschaft, die alle einlädt, sich zu versammeln. Er erweckt öffentliche Aufmerksamkeit und gibt so Anlass, das Thema „Armut und Menschenrechte“ ins Blickfeld gesellschaftspolitischer Entscheidungen zu rücken.
„Armut ist von Menschen gemacht. Nur die Menschen können sie beseitigen.“
Père Joseph Wresinski
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