Zwischen Geschichte und Erneuerung

Ursula und François Jomini

Ursula und François Jomini, hauptamtliche ATD Mitarbeiter aus der Schweiz, haben zwei Jahre lang in Berlin gearbeitet und verabschieden sich mit einem Rückblick auf die Geschichte von ATD Vierte Welt in Deutschland.

Anfang der 70er Jahre hat eine junge deutsche Volontärin, die sich Joseph Wresinski langfristig angeschlossen hat, die Bewegung ATD Vierte Welt in Deutschland gegründet. Sie teilte den Alltag mittelloser Familien in einer ehemaligen Kaserne in Rastatt bei Freiburg im Breisgau.Später hat sich das Wirkungsfeld von ATD Vierte Welt in Deutschland erweitert mit dem Projekt «Haus der Berufe» in München zur Förderung des Zugangs benachteiligter Jugendlicher zur Berufsbildung, sowie mit Besuchen bei Familien, die in einem Nebengebäude des ehemaligen Konzentrationslagers in Dachau untergebracht waren.

Nach der Wende 1989 hat sich ATD Vierte Welt auch im Norden Berlins (Uckermark) im Haus Neudorf etabliert, das mithilfe von Jugendlichen verschiedener Länder wie Russland, Polen, Ungarn, Spanien, Frankreich, Deutschland… komplett renoviert wurde. Als «Forum für Gemeinschaft in Europa» wollte das Projekt dem Bedürfnis nach Begegnung, Dialog und Anerkennung einer Generation junger Menschen gerecht werden, die geprägt waren von Gesellschaften, die unterschiedliche Werte vertraten.

Heute stellt der Verein Haus Neudorf e.V. ein Büro für die Geschäftsstelle von ATD Vierte Welt Deutschland sowie die Nutzung des Hauses für weitere ATD-Projekte zur Verfügung. Norbert Peter, hauptamtlicher ATD-Mitarbeiter, wird mit Partnervereinen und Familien aus der Region weiterhin Familienurlaube und Jugend-Bausteinzeiten durchführen. Das Haus steht offen für jede Art von nationalen oder internationalen ATD-Treffen und Bildungszeiten, so auch für die Vorbereitung der europäischen Volksuniversität Vierte Welt, die für 2019 im Europaparlament in Brüssel geplant ist.

Anderswo in Deutschland, in Berlin, München, Dortmund, Hamburg, Bremen oder Naila, haben wir Freunde von ATD Vierte Welt kennengelernt, die besorgt sind um isolierte und ausgegrenzte Menschen. Sie setzen sich für soziale Integration ein und für gesellschaftliche Veränderung bei der Ausübung ihres Berufs in Bildung, Gesundheit, Sozialarbeit, Begleitung von Flüchtlingen…

Seit mehr als 25 Jahren lädt der UN-Welttag zur Überwindung von Armut und Ausgrenzung auch in Deutschland zu öffentlichen Veranstaltungen ein, um das Bündnis mit den Ärmsten zu fördern und ihm eine gewisse Sichtbarkeit in verschiedenen Städten des Landes zu verleihen. Eine Publikation darüber ist am Entstehen.

Von Berlin aus standen wir ab Sommer 2016 während zwei Jahren mit rund 55 ATD-Freunden in regelmässigem Austausch, im Hinblick auf eine Neuorientierung der Bewegung in Deutschland. ATD Vierte Welt stützt sich heute ausschliesslich auf den ehrenamtlichen Einsatz von erfahrenen Verbündeten, die Brücken bauen zwischen ihrem beruflichen oder nachbarschaftlichen Umfeld und den Anliegen von ATD Vierte Welt. Wichtig ist dabei, dass alle Beteiligten, insbesondere auch die Armutsbetroffenen selber, ihr Engagement als persönliche Bereicherung empfinden. So konnten z.B. an einer Fachtagung zum Thema Funktionaler Analphabetismus Betroffene als Experten zu Wort kommen und ATD Vierte Welt erhielt die Gelegenheit, ihre Erfahrung seit den 70er Jahren zur Förderung von Erwachsenenbildungsprojekten mit armutsbetroffenen Menschen bekanntzumachen.

Jugendliche einer Berufsschule in Hamburg berichteten von ihrer Teilnahme an einem europäischen Sommertreffen in den Niederlanden. Sie konnten Bildungsverantwortliche und Finanzgeber mithilfe einer Sozialpädagogin überzeugen, dass solche Austauscherfahrungen in Europa, besonders für Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen, wichtig sind. Die Unterstützung für einen weiteren Jugendaustausch mit ATD Vierte Welt im neuen Jahr wurde ihnen zugesichert.

Mehrere Freunde engagieren sich stark mit zugezogenen Flüchtlingen, im Besonderen auch mit Minderjährigen ohne Eltern. Andere besuchen Familien, um zu verhindern, dass Beziehungen zerbrechen, sie fördern das Gespräch und geben Rückhalt.

Unser Dank geht an unsere Freunde in Deutschland für die Besuche, die interessanten Gespräche, das engagierte Leben. Wir haben viel kennengelernt über persönliche Erfahrungen in der grossen Geschichte Deutschlands. Wir bleiben in Kontakt und freuen uns auf ein Wiedersehen!

Ursula und François Jomini

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